Vertiefendes Selbstgespräch von und mit Maria Miller-Gadumer zu Werk, Buch und Homepage für interessierte Menschen und „last but not least“ die Suchmaschinen!
Warum heißt deine Homepage „webe Leben“?
Der Titel beinhaltet so viel. Ich mag das Bild eines bunten Lebensteppichs, in den unser Leben mit hineingewoben wird, wenn wir uns mit anderen immer wieder neu verbinden und Schönes sowie Trauriges erleben. Jedes Gewebe im großen Lebensteppich ist einzigartig, bis eines Tages unser Lebensfaden abgeschnitten wird, aber weiter im Teppich des Lebens leuchtet, über den Tod hinaus seine Spuren hinterlässt und mit anderen verbunden bleibt.
Da mich dieses Thema schon lange berührt, sammelte ich gezielt Texte hierzu.
>>Gewebe des Lebens
Zudem fordert das Wort „Webe“ auf das eigene Leben kreativ in die Hand zu nehmen, das Schöne zu genießen und Herausforderungen anzunehmen.
Womit setzt du dich besonders auseinander?
Künstlerisch beschäftigte ich mich u. a. mit den Schlüsselsituationen des Lebens wie Geburt & Menschwerdung sowie Sterben & Trauer. Für mich sind das zwei Seiten einer Medaille. Es handelt sich um einzigartige Grenzerfahrungen in unserem Leben, für die ich mir achtsame Begleitung wünsche.
Wie kamst du dazu dich mit Trauer auseinanderzusetzen?
Meine Erfahrung ist: Trauer gehört wie die Freude und das Glück zum Leben. Auch mein eigenes Leben wurde früh durch Verlusterfahrungen geprägt.
Und natürlich spielt mein beruflicher Hintergrund eine Rolle. Fast mein ganzes berufliches Leben arbeitete ich als Sozialpädagogin in der Frühförderung blinder und sehbehinderter Kinder. Nicht nur der Tod eines nahen Angehörigen oder anderer wichtiger Menschen in unserem Leben löst Trauer aus. Auch Eltern trauern, wenn sie durch eine Behinderung ihres Kindes mit existentiellen Fragen konfrontiert werden.
Später arbeitete ich sehr viele Jahre im Trauercafé sowie bei Trauerseminaren bei „Bildung Evangelisch“ in Erlangen und begleitete Trauernde.
Du sprichst von frühen Verlusterfahrungen?
Ich wuchs mit vier Geschwistern, zwei Schwestern und zwei Brüdern auf. Aber es gab noch zwei weitere Brüder, die schon sehr früh verstarben. Albert wurde ein Jahr nach mir geboren und starb zwei Tage nach der Geburt. Meine Mutter erzählte davon, wofür ich ihr dankbar bin, so wusste ich um ihn. Natürlich erinnern Einjährige sich nicht an eine Mutter, die tief in der Trauer gewesen sein muss. Heute weiß ich, wie sehr solche frühkindlichen Erlebnisse unser Leben prägen, auch wenn wir uns natürlich nicht an sie erinnern können. Doch ich habe ihn immer vermisst und mich schon als kleines Kind gefragt, wie es wohl gewesen wäre, einen noch etwas älteren Bruder an der Seite zu haben.
Als ich 12 Jahre alt war, starb ein weiterer Bruder Michael bei der Geburt durch Geburtskomplikationen. Dieses Ereignis sollte unser ganzes späteres Leben prägen. Beinahe wäre meine Mutter schon damals bei der Geburt unseres Bruders verstorben. Sie schwebte lange zwischen Leben und Tod. Meine Schwester Hilde erzählt, dass sie dabei war, als mein Vater von der Nachricht telefonisch erfuhr. Sie habe sofort gewusst, dass etwas Schreckliches passiert sei, als mein Vater am Telefon urplötzlich kreideweiß wurde...
Die Ärzte kämpften verzweifelt um das Leben meiner Mutter. Sie bekam viele Bluttransfusionen und durch eine dieser Transfusionen einen Erreger, der letztendlich weitere 8 Jahre später nach schwerer Krankheit dazu führte, dass sie starb.
Dies war eine Erfahrung, die mich und meine Geschwister tief prägte. Als älteste übernahm ich mit meiner zweiten Schwester Hildegard früh Verantwortung für meine jüngeren Geschwister und unterstützte auch meinen Vater.
Als meine Mutter starb, schob ich meine Trauer zur Seite und holte die Verarbeitung erst später nach. Ich war damals 21 Jahre, der Jüngste in der Geschwisterreihe 11 Jahre. Mir und auch meinen Geschwistern fehlten andere junge Menschen mit ähnlichen Erfahrungen an der Seite.
Damals gab es noch keine Trauerbegleitung für Jugendliche und Kinder. Wir waren auf uns gestellt. Unser Vater war selbst tief in der Trauer. Lehrkräfte sprachen meine Geschwister nicht auf den Tod der Mutter an.
Geholfen hat mir ein Satz von Dr. Karg, der uns Geschwistern klar sagte, dass sie sterben wird. Er gab uns mit: „Ihr habt immer noch euch!“ – Und dieser Satz trug. Wir hatten noch uns.
Ich lernte aus dem Satz von Dr. Karg für meine spätere Arbeit, wie wichtig es ist, was wir in solchen äußern. Sätze in solchen Schlüsselsituationen prägen unser ganzes Leben – im positiven wie im negativen. Sie können tragen oder auch schwer belasten.
Freilich trug er nicht alle gleichermaßen, wie mir mein Bruder Christoph erzählte. Und unser elfjähriger Bruder Georg war bei diesem Gespräch gar nicht mit dabei. Er sei dafür zu jung, wurde uns gesagt... Dabei musste er den Verlust zwei Wochen oder drei Wochen später genauso erleiden. Heute ist das Wissen viel verbreiteter, wie wichtig es ist Kinder aus solchen Prozessen nicht auszuschließen. Dass es besser gewesen wäre, wenn er dabei hätte sein können, war uns Geschwistern schon damals klar. Wir nahmen ihn danach deshalb überall hin mit, behielten dadurch aber andere in der Geschwisterreihe - wie meine Schwester Mechthild - nicht so im Blick.
Ich weiß, dass meine Geschwister teils ganz andere Erinnerungen an diese Zeit haben. Auch wenn wir uns als Geschwister verbunden fühlten, gab es doch auch Unterschiede in dieser Wahrnehmung des Geschehens. Wir waren ja unterschiedlich alt und hatten verschiedene Beziehungen zu unserer Mutter.
Jede und jeder trauert anders und es gibt bei aller Verbundenheit einen Teil, den wir letztendlich alleine gehen müssen.
Und um deinen Bruder Michael hast du gar nicht getrauert?
Wir hatten uns natürlich alle sehr auf das Brüderchen gefreut. Er wäre der jüngste in der Geschwisterreihe gewesen. Aber die Trauer um ihn wurde überlagert von der Sorge um die Mutter.
Meine Mutter hätte sich gewünscht, dass uns unser Vater, den verstorbenen Bruder gezeigt hätte und uns mitgenommen hätte, als er ins Grab meiner Großeltern gelegt wurde. Sie war unserer Zeit voraus bzw. kam aus einer Zeit, in der die Menschen zu Sterbenden kamen, um sich zu verabschieden, die Toten von den Angehörigen gewaschen wurden und in der generell offener mit dem Thema Tod umgegangen wurde. Sie selbst aber konnte weder dafür sorgen, dass wir daran teilhaben konnten, noch selbst dabei sein, da sie sterbenskrank war.
Meine Schwester Mechthild aber machte mich darauf aufmerksam, dass eine Stärke unserer Familie mütterlicherseits zwar war, uns von Sterbenden zu verabschieden und dass wir um die verstorbenen Brüder wussten. Allerdings kannten wir keine Formen, wie wir weiterhin ihrer gedenken und sie mit in unser Leben einbinden.
Dabei ist es nicht nur eine Erkenntnis der neueren Trauerbegleitung wie wichtig dies ist. Schon in der Familie von Dietrich Bonhoeffer wurde an seinen verstorbenen Bruder gedacht, indem ein geschmückter Tannenzweig aus dem Weihnachtsbaum geschnitten und dieser mit Licht und Lametta ans Grab gebracht wurde. Bonhoeffer schrieb dazu u. a, es sei wichtig die Lücke offenzuhalten, weil wir durch diese verbunden blieben. Mit diesem Bild arbeitete ich auch als Trauerbegleiterin.
Du hast nicht nur als Trauerbegleiterin gearbeitet, sondern auch ein Buch „Pfade der Trauer“ veröffentlicht.
Schon im Rahmen der Trauerbegleitung bei „Bildung Evangelisch“ entstand das Herzstück des Buches: Die Willkommenheißung der Trauergefühle. In Zeiten der Trauer sind wir meist auf uns selbst zurückgeworfen und nah an unseren Emotionen. Eine Teilnehmerin des Trauercafés drückte es so aus: „Hier sind alle Menschen wahrhaftig!“
Nebenbei bemerkt: Bisweilen ist dies für Außenstehende schwer auszuhalten, weshalb es gut ist, dass es solche geschützten Räume gibt.
Da ich tief davon überzeugt bin, dass die Trauergefühle helfen, die Trauer zu bewältigen, webte ich eine Willkommenheißung rund um das Trauermodell „Pathway through Grief“. Es stammt von Sandra Elter und Karen Martin und ich habe es erweitert sowie die Willkommenheißung in ein Ritual eingebettet.
Mich spricht an, dass es sich um ein offenes Modell handelt, bei dem die Trauernden ihren eigenen individuellen Weg finden können, hin- und zurück gehen, verweilen, Orte aufsuchen oder andere auslassen, denn kein Trauerweg ist genauso wie der eines anderen Menschen, denn jeder Mensch trauert anders.
>> Einblick in das Buch
Ist es demnach ein Fachbuch für Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter?
Es ist ein Buch für Trauernde direkt, aber auch für Trauerbegleitende. Das Buch ist auch keinem Genre eindeutig zuordenbar. Es verbindet eine Trauermethode, Theorie und Kunst. Dabei macht es nicht viele Worte. Daher kann es schnell überflogen werden, aber eigentlich will es verkostet sein. Jederzeit können Trauernde auch längere Lesepausen einlegen, es auf Etappen lesen und den eigenen Emotionen nachspüren, sich finden oder in Widerspruch gehen.
Es lebt durch die Bilder der Figuren, die in einzigartiger Weise miteinander in einen Dialog gehen. Hierzu trug auch Rudolf Weinert bei, der durch seine Fotografien zum Teil neue Dimensionen hineinbrachte. So fotografierte er den wütenden Mann in einer Baumgabel, durch die von oben die Sonne scheint und das Geschehen in Licht taucht. Das Licht bringt Segen und die Botschaft: „Du bist angenommen so wie du bist – mit allen Gefühlen!“
Dies erinnert mich an eine betagte Besucherin, die meine Ausstellung auf dem Walberla von einem Sitzplatz aus betrachtete. Sie meinte es sei für sie ganz besonders gewesen einen meditativen Blick auf sie zu werfen. Die Skulpturen seien irgendwann „lebendig“ geworden, hätten angefangen miteinander zu sprechen und in den Dialog zu gehen.
Ist das Trauermodell nur für Menschen geeignet, die einen Menschen durch Tod verloren haben?
Nein das Modell passt für viele Verlusterfahrungen. Wir trauern, wenn wir verlassen werden, uns mit schwerer Krankheit auseinandersetzen müssen, einen beruflichen Absturz erleben...
Allerdings beziehen sich die lyrischen Texte auf den Verlust durch einen Todesfall.
Was zeichnet ein offenes Modell aus?
Ein ähnlich offenes Modell wie die „Pfade der Trauer“ ist das Trauerkaleidoskop von Chris Paul in dem sich Menschen in ihrer Trauer erkennen können. Auch sie geht davon aus, dass Trauern ein gesunder und normaler Prozess ist und benennt Trauerfacetten (Überleben, Wirklichkeit, Gefühle, Sich anpassen, Verbunden bleiben, Einordnen) denen sie Farben zuordnet. Als ich mit den „Pfaden der Trauer“ arbeitete, gab es dieses Modell noch nicht.
>> Chris Paul
Ältere Modelle gehen demgegenüber von Phasen und Stufen aus, welche Trauernde durchlaufen.
Wie kam es zu dem Buch?
Nachdem ich etliche Jahre im Trauercafé und im Trauerseminaren das Abschiednehmen begleitet hatte, inspirierten mich der frühe Tod meines Mannes Ernst, den „Pfaden der Trauer“ auch künstlerisch einen Ausdruck zu geben.
Mir half es Schritt für Schritt zu gehen. Ich schrieb in dieser Zeit zu den Trauerplätzen, bzw. Trauergefühlen lyrische Texte und formte kleine Skulpturen. Dabei war ich oft meinem Mann oder auch anderen Trauernden sehr nahe.
Beschreiben die lyrischen Texte deine eigenen Verlusterfahrungen?
Nicht nur! Gerade erzählte ich schon davon, dass ich auch anderen Trauernden sehr nahe war. Und so flossen in die Texte und Skulpturen die eigene Trauerverarbeitung und die anderer mit ein. Das Jahr vor und nach dem Tod meines Mannes war unabhängig von seinem Tod geprägt durch sehr viele Todesfälle und Krankheiten im Freundeskreis, selbst in meiner Arbeit in der Frühförderung in der Familie. Es gab es viele liebe Menschen, die starben. Unser Freund Ludwig und seine Tochter Luisa, meine Nichte Karolina... Auch trafen viele andere schwere Ereignisse liebe Menschen um mich herum. Freundinnen, Freunde, meine Kinder und Geschwister waren in tiefer Trauer...
Manchmal gibt es solche Zeiten im Leben von Menschen!
Warum hat es so lange gedauert, bis du das Buch veröffentlicht hast?
Es hat wirklich lange gedauert. Ich war die letzten Jahre beruflich so eingespannt.
Aber das Buch wollte in die Welt. Das mag sich jetzt seltsam anhören. Immer wieder gab es Fügungen, die richtigen Menschen, die mich unterstützten und mir weiterhalfen. Für mich waren das keine Zufälle. All diesen Menschen bin ich zutiefst dankbar.
Hat es dir geholfen in der Trauer kreativ zu werden?
Ich kann alle nur ermutigen ihren kreativen Ausdruck in der Trauer zu suchen. Mich selbst hat es durch die Trauer getragen. Beim Formen der Skulpturen und Schreiben der Texte fühlte ich mich oft meinem Mann Ernst ganz nah. Die Trauergefühle waren für mich ein Ausdruck meiner Liebe zu ihm.
Damit knüpfe ich auch an den Psychotherapeuten Roland Kachler an, dem die Erfahrung bleibender Liebe besonders wichtig. Er wendete sich gegen die alte Forderung, den „Verstorbenen loslassen“ zu müssen und fordert, den Verstorbenen einen „sicheren Ort zu geben und die Beziehung zu ihnen zu gestalten.
>> Roland Kachler
Hast du jemals davon geträumt ein Buch zu schreiben?
Wenn mir jemand als Schülerin in einer Kleinstadt prophezeit hätte, dass ich einmal künstlerisch arbeiten werde oder ein Buch veröffentliche, hätte ich es nicht für möglich gehalten. In meiner Herkunftsfamilie wurde viel gesungen und musiziert. Meine Schwester schrieb Lieder. Ich kann das nicht und suchte nach anderen Ausdrucksformen. Manche Trauernde schreiben z. B. Briefe an die Verstorbenen, führen ein Tagebuch oder malen. Es gibt viele Formen kreativ zu werden.
Für mich ist Kreativität generell wichtig. Auch in der Kunst geht es um Wahrhaftigkeit und das gesamte menschliche Empfinden, von Traurigkeit bis Freude und Glückseligkeit. Und oft fordert Kunst heraus kritisch zu denken.
Du sagtest: Trauer gehört wie die Freude und das Glück zum Leben.
Spielst du damit auf dein zweites Thema Geburt und Menschwerdung an?
Ja, wobei eine Geburt nicht nur Freude und Glückseligkeit beinhaltet!
Zu diesem Thema wurde ich von Hanna Strack inspiriert. Sie sieht die Frau als Mitschöpferin Gottes und betrachtet die Geburt als einen heiligen Raum. Wir alle leben, weil wir von einer Mutter geboren wurden. Seitdem ich meine Ausstellung konzipierte, hat Hanna Strack etliche Bücher hierzu veröffentlicht.
Mich erschreckt die wachsende Technokratisierung – nicht nur im Geburtsprozess. Ich messe der Hebamme als Begleiterin einen sehr wichtigen Platz bei. Und ich wünsche mir Hebammen, die um diese Dimension einer Geburt wissen und werdende Eltern zwischen Medizintechnik und Selbstbestimmtheit begleiten, wie Hanna Strack dies nennt. Und ich wünsche mir von Herzen, dass auch meine Enkelinnen noch eine Hebamme an der Seite haben.
>> Hanna Strack
Am wichtigsten ist mir die Skulptur der Gebärmutter, als unsere erste Heimat auf unserem wunderbaren blauen Planeten.
Eigentlich ist diese Skulptur ein Gemeinschaftswerk von Ernst (meinem Mann), Benedikt (meinem Sohn) und von mir. Ursprünglich war es eine Skulptur meines Mannes. Er fand den roten Stein am Strand in Bornholm und setzte darauf eine abstrakte Holzskulptur.
Ich sah in ihr eine Gebärmutter. Nach dem Tod meines Mannes rang ich mit mir, ob ich diese Skulptur verändern darf. Schließlich setzte ich ein Ungeborenes hinein.
Schlussendlich fand ich es sehr passend, dass es ein gemeinsames Kunstwerk ist. Schließlich braucht es ja auch Mann und Frau, damit ein Kind entsteht.
Als ich nach Synonymen für die Gebärmutter suchte, erschrak ich wie wenig Worte wir im Deutschen dafür haben und so spielte ich mit Worten: GebärMutter MutterSchoß SchoßMitte MittenInnen InnenRaum... Mein Sohn schieferte dann eine weitere Bodenplatte, auf der ich diese Worte verewigen konnte...
Und Wolfgang ein Freund meines Mannes half mir die Figur hinein zu montieren.
So wurde es ein Gemeinschaftswerk und auch dies ist für mich symbolisch.
Was wären wir alleine? Wir brauchen einander!
Später entdeckte ich, dass Hanna Strack spirituelle Reise zur Gebärmutter, indem sie u. a. Kunstwerke zur Gebärmutter sammelte.
>> Spirituelle Reise zur Gebärmutter, Entdecken – Staunen – Würdigen
Viele Jahre lang beschäftigte mich mit der geistigen Dimension rund um das Thema Menschwerdung. Rosemarie Leipolz hatte angefangen zu diesem Thema Texte zu sammeln.
>> Menschwerdung
Wo hast du gelernt Skulpturen zu formen?
In Töpferkursen bei Karin Fey des Begegnungszentrums in der Fröbelstraße, entdeckte ich die Möglichkeit meinen Ausdruck im Ton zu finden. Tonen bietet die Möglichkeit sich ins Tun zu versenken und sich beim Formen am Ausdruck in einem meditativen Prozess mit dem Objekt einzulassen. Am Anfang liegt eine Idee zugrunde. Dann gibt der Ton Antwort und aus den Händen entstehen überraschende Werke. Die Beschaffenheit verändert sich beim Formen und Verformen. Es gibt Zeitpunkte, zu denen der Ton gerade die richtige Beschaffenheit hat und es leicht ist, stimmige Formen zu schaffen, dann wird er zu hart und leistet Widerstand, er kann reißen oder bröckeln. Anfangs dagegen ist er vielleicht zu feucht und hat noch keine Standfestigkeit. All dies fordert Antworten heraus, trockenblasen oder anfeuchten, geduldig abwarten oder zügig weiterarbeiten und ist für mich Sinnbild fürs Leben. Und so hole ich Figur um Figur aus dem Ton, schule mein Auge für die Form und entwickle mich weiter.
Mein Gespür für körperliche Formen entwickelte ich auch durch meine jahrelange Feldenkraisarbeit, einer Methode der Bewegungserforschung, als Schülerin von Dorothee Mecklenfeld. Durch sie kam ich auch zu meiner zweiten Ausdrucksform dem Schreiben. Schreiben bedeutet für mich treffende Worte für Erlebtes und Beobachtetes zu finden und am Ausdruck zu schmieden. Es ist wie Schürfen und Heben kostbarer Schätze und führt zu innerlicher Klärung und Aufhellung.
Was sind deine Wurzeln, bzw. was trägt dich?
Ich wurde in eine große Sippe hineingeboren mit unterschiedlichsten Vorbildern, vor allem Bauern und Bäuerinnen, Politikern und Politikerinnen, Kirchenmännern und Kirchenfrauen, Missionaren und Missionarinnen, Hausfrauen. Es gab Konservative aber auch Originale und Freigeister. Ich wuchs in einer Gemeinschaft als Teil eines Größeren auf, als Erstgeborene, behütet in einer Familie mit vier Geschwistern. Auch heute sind mir meine Familie, meine Kinder und Enkelkinder sehr wichtig.
Aufgewachsen mit traditionellen kirchlichen Bildern entwickelte sich meine weibliche Spiritualität durch Feiern in Frauengemeinschaft z.B. der Frauenliturgie weiter, über weibliche Gottesbilder zu einem offenen Gottesbild, bei dem verschiedene Gottesbilder gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Heute würde ich mich als kirchenfern bezeichnen.
Gibt es noch etwas, was du abschließend sagen möchtest?
Ja in meinem Leben gab es immer wieder Menschen, die mir im richtigen Moment begegneten und mir weiterhalfen. Manche mögen es als Zufall betrachten. Wie schon gesagt, betrachte ich viele Begegnungen als Fügung, die mich mit großer Dankbarkeit erfüllen.
Wir brauchen einander mehr denn je auf diesem wunderbaren Planeten, der uns geschenkt wurde und den wir zerstören. Auf der Startseite meiner Homepage schreibe ich: „Lieben und geliebt werden, hinabtauchen in Tiefen, zulassen von Schmerz, auftauchen im Freudvollen und bei allem sich eingeborgen wissen in einen größeren Zusammenhang – das macht für mich Leben aus. Letztendlich sind wir alle ein Teil der Schöpfung und unterwegs zur/zum AllEinen. Und wir haben Verantwortung für das, was in der Welt geschieht und was aus unserer wunderbaren Mutter Erde wird.